tal der zukunft






"die sprache ist der schritt aus dem nichts in das etwas"

...

das leben ist wie ein lavastrom, der zäh ins tal fließt
heiß und leuchtend öffnet er sein maul der jungen
immergrünen zukunft
die er verschlingt und in seinen eingeweiden zu stein gießt
so ebbt er ins tal und wird breiter und breiter
spricht nunmehr mit tausend zungen
tausendköpfige hydra aus dem innern des kosmos
gespien
erkaltet im tal der zukunft

...

herr miller sagte: kunst ist lieben
in mir entsteht das bild: kunst ist blühen
kunstwerke sind mannigfaltig wie blüten
in gestalt und aura
(geruch)

...

das herz des waldes liegt da, wo kein mensch seine
spur hinterließ
ich suche das herz des waldes, um trost zu finden

...

das gesicht eines menschen ist der umschlag
eines buches, in dem ich blättern kann
wenn ich mir mühe gebe

alles fließt zu tal
um auf unterschiedliche weise in den himmel
zu kommen

die zeit ist ein lebewesen, dessen verschiedene organe
wir bilden
natur, geschöpfe, planeten, sonnen, materie und kräfte ...
ihr körper, ihre haut werden vom maßlosen raum gestaltet

der mensch kann alles wissen
wenn er sich von seinen wünschen distanziert
alltägliches leben ist wunschbeladen
bewußtheit bedeutet wunschloses sein

den maßlosen raum wiederum
gestalten wir
so fließen wir gemeinsam in das tal der zukunft
und erkennen uns als teile eines organismus
der durch uns lebt und
durch den wir leben
dürfen
- die zeit, der lavastrom, die weltschlange

was ich dabei sehe
ist die herzensgroße sehnsucht des menschen
nach liebe
so groß, dass wenn sie sich nicht erfüllt
manche seele zur bestie verwandelt

die psychologie erklärt uns nicht selbst
sie erklärt immer die anderen

frieden mit sich
zu haben, ist die beste gesundheit

kunst ist ausdruck des bemühens
das buch der welt bis ans ende zu lesen und
zu interpretieren
weltoffenheit kann erlernt werden

das überschreiten einer grenze
ist meist nur formsache

homo sapiens sapiens im jahre 2000
steht am rande der selbstvernichtung, wobei er
wenn gott will
die größte chance einer friedlichen selbstverwirklichung
auf der erde hand in hand - alle kulturen, religionen, nationen, völker und rassen - entfalten könnte
eine vision, die allen „geistern“ platz bieten würde

okay, ich träume von dieser möglichkeit in meinem kurzen
menschenleben, weil ich in frieden mit mir
sterben will

egoist, weil ich glaube
hier etwas von mir konservieren zu können
vielleicht macht meine einsamkeit einen sinn, wenn
sie in der zukunft einen fruchtbaren boden hergibt
13 uhr 13
die zukunft ist ein endloser abgrund

...

dann ist kunst
kommunikation mit dem medium. der bildhauer spricht mit dem stein. der maler spricht mit den farben und gestalten auf der leinwand. der musiker spricht mit den tönen. der dichter
spricht mit der sprache und seinen gedanken.
ich meine nicht die kunst als mittel zur kommunikation
wie etwa das telefon oder das internet, durch das wir mit einem
2. menschen sprechen.
der tätige künstler beginnt ein gespräch mit den mitteln
seiner kunst. das werkzeug, mit welchem er gestaltet setzt
ein zeichen für die gewählte distanz. das werkzeug übernimmt
in dieser metapher den stellenwert der kommunikationsmittel
wie telefon oder internet, während das kunstwerk des künstlers
zum gesprächspartner wird.
die innerlichkeit des künstlers fließt zur innerlichkeit des objekts
und von diesem zurück zum künstler, der diese erfahrung nach
einer idee abstrahiert.
die idee liegt oft außerhalb – als modell, landschaft oder intellektuellem
konstrukt, so dass die kommunikation nicht allein vis a vis zum kunstwerk stattfindet, sondern auch den dritten pfeiler der idee miteinbezieht. künstler, idee und kunstwerk bilden zusammen ein 3-gestirn an kreativität, erkenntnismöglichkeit und plattform.

...

manche dinge sind wie traumbilder, die auftauchen
und wieder verschwinden

ich wundere mich, dass ich nicht verrückt werde
weil ich jeden tag in mir stecke
ein ganzes leben aus meinen 2 augenspalten
betrachtet
wie ein gefrorener traum aus myriaden
eiskristallen

du kannst nicht in den abgrund blicken
wenn du dir gedanken machst, wie
du herunterstürzen würdest

was ist, wenn wir eines tages entdecken
dass das weltall auf geheimnisvolle weise mit nadel
und faden zusammengenäht ist
nadel und faden
der mensch im nadelör
die ganze welt im nadelör
alles verbunden, alles vernäht
der schneidermeister, ein stoff , eine schere
nadel und faden
so sitzt er da im schneidersitz
arbeitet im diffusen licht einer ölfunzel
und er macht es passend
für kirche, wissenschaft, passend für
jeglichen spirit
beleibt oder hager, groß oder klein, jung oder
alt
aus stoff in den schönsten farben, weich wie samt
unbezahlbar
der meister flickt auch die löcher, die wir
menschen achtlos hineinreißen
er dient seiner kunst, ohne fragen zu stellen
er näht und näht mit
nadel und faden
mit endloser geduld und zerstochenen fingern
in seinem kämmerlein, dem schönsten ort
den er sich vorstellen kann
wir menschen leben durch die gnade seiner
kunst
wir sind undankbare gesellen

...

das altern ist ein fluch und
voraussehbar wie die planetenbahnen
ich sehe mich
imselbensesselalsergrautergreissitzen
„der pott ist voll“, sagt der fischer
und steuert zur küste, und als er
zuhause ankommt, sagt er:
„ich war ein lebenlang fischen“
„war dein fang gut?“ wird er gefragt
„so gut wie jeder andere“, wird er
antworten

...

ist es nur eine schöne vorstellung
dass die gesamte welt beseelt ist?
andersherum: wenn ich an eine mir eigene seele
glaube, warum sollte nicht jedes „etwas“ um mich
herum ebenso eine seele haben?
was bedeutet eigentlich „seele“?
ist sie nicht wie ein innenkörper, der aus einer
jeglichen sache spricht und ihre identität ausmacht ...
wenn ich mich ausdauernd einer sache widme
wird die sache selbst mir ihre seele zuwenden
gegenüber menschen und tieren scheint uns das
selbstverständlich, weil sie uns nahe – und selbst-
gewählte weggefährten sind
wie aber, ich wäre in eine landschaft verbannt, deren
gestalt in der hauptsache felsen, gebirgszüge, spär-
liche vegetation und tierwelt ausmachen?
außerdem: keine menschenseele weit und breit, keine
spuren menschlicher zivilisation ...
ich werde mich nicht eben technokratisch einrichten
weil mir die mittel fehlen, ich werde mich ausdauernd
mit meiner umwelt beschäftigen müssen, um zu über-
leben
bis sie mir heimat geworden ist
bis ich ihre seele erkenne
so dass die dinge, die mich umgeben, intensiv mit mir
in verbindung treten
wir erzählen einander geschichten auf endlosen wegen
berge und felsen, schluchten, täler, wasserläufe, seen
baumgruppen, die tiere am boden und in den lüften
beeren und wurzeln, der sand der wüste, die savanne
die wolken am himmel, wind und regen, der lauf der
sonne bei tag, mond und gestirne bei nacht
ich muß meine wegbegleiter verstehen lernen
um zu überleben
der technokratische mensch lebt vor allem mit und
durch die geschöpfe seines verstands
da sind: maschinen und computer, künstliches licht
bei nacht, betonierte pfade, schilder, die den weg kenn-
zeichnen
hütten und bauten, die ihn vor dem wetter schützen
vollgestopft mit technischem komfort
fabriken, die scheinbar nahrung und gebrauchsgegen-
stände ohne ende liefern
kraftwerke, die energie in das netz einspeisen bis zur
steckdose daheim – ganz selbstverständlich
und unmengen von maschinen und apparaten:
reinigungsmaschinen, elektrische feuerstellen, musik-
automaten, kommunikationsapparate
vor dem haus die ultimative fortbewegungsmaschine:
das auto, noch mehr autos, züge, flugmaschinen
schiffe und u-bahnen
ganz zu schweigen von den kriegsmaschinen und
monströsen waffensystemen
der mensch flitzt auf den ihm vorbereiteten wegen
in seine vorbereitete zukunft:
der mensch hinter der schulbank, der mensch am
arbeitsplatz, der mensch in seiner freizeit, der mensch
im konsum, der mensch im berufsverkehr
auf der federkernmatratze
der mensch auf sight-seeing, der mensch beim kultur-
genuß, im spielcasino, in der badeanstalt, im freizeitpark
in der fußgängerzone, im kaufhaus, im schnellrestaurant
der mensch am bildschirm
der mensch glotzt in künstliche welten, der mensch schafft
neue welten in 3d und ganz nach seinem geschmack
nach seinen bedürfnissen – die erde als riesiger menschen-
park ...
ich muß meine natürlichen begleiter kennenlernen, dann
erzählen sie mir ihre eigenen, wunderbaren geschichten
die umwelt des technokratischen menschen dagegen
erzählt ihm nur von seiner abhängigkeit von den maschinen
welche sich im 20. jahrhundert explosionsartig verdichtete
die seele des technokratischen menschen und die seele der
maschine rücken immer näher zusammen
ich bin ein hybrid, ein mischwesen: während archaische erinner-
ungen von einer beseelten, ursprünglichen natur an mir nagen
lebe ich beschützt und behütet auf der seite des maschinenparks
ich empfinde die maschine wie einen makroskopischen virus
zwar zum segen der menschheit ausgedacht
zerstört diese combiose aus mensch und maschine in entwick-
lungsgeschichtlich gesehen atemberaubendem tempo die uns
umgebende biosphäre
möglicherweise deutet sich damit ein fulminanter evolutionsschritt
an: maschinen, roboter und computer werden sich bald eigen-
ständig weiterentwickeln und die biologische evolution auf der
erde ablösen, an deren scheitelpunkt heute der mensch steht
( eine vision unter vielen, erdacht im studierzimmer, von dicken
mauern umgeben, in zentralbeheiztem raum, immergrüne
zimmerpflanzen auf der fensterbank und büchern auf den
regalen, die nicht vergilben – an einem herbsttag)

...

wir tanzen durchs leben
mit wechselnden partnern
wir tanzen mit molekülen, mit religionen
wir tanzen mitten durch
krankheit und erfolg
wir tanzen durch atomwaffenfreie
zonen, wir tanzen auf stühlen
und am rande des vulkans
wir tanzen mit der dna
die dna tanzt mit uns
wir tanzen mit wechselnden
partnern durchs leben
wir tanzen zur äthermusik
wir tanzen wie verrückt
durch dünn und dick
und liegen wir tot da
die erde tanzt weiter, der
holzwurm tanzt
es tanzt die dna

...

die menschen leben im mühlental
mühlen, die zerkleinern
mühlen, die speichern
mühlen, die uns fortbringen
mühlen, die töten und mühlen
die konservieren
tausende und abertausende mühlen
für das grobe und das feine
ineinandergeschachtelt
mühlen für sprache und geist
mühlen für gefühle
mühlen für das gebet
mühlen, wo ich hinschaue
wir leben im mühlental

...

zeit ist wie zählen
es kommt immer genau
1 hinzu
bis zu größeren zahlenwerten
ein kreativer prozeß
eine neue zeit – eine neue zahl
eine primzahl
wie ein hinzugekommenes, unteil-
bares teilchen
ein quant
die gestalten des uns bekannten
lebens manifestieren sich in
unheimlich
großen zahlen
der schöpfungsakt bedeutet das
zählen
im zahlenraum, der
wächst und wächst – und wächst
bis er durch seine schwerkraft kollabiert
dann
an der größten zahl angekommen
wird rückwärts gezählt werden

die vorstellung, dass die welt hinter dem
spiegel
dem betrachter, dem selbstbetrachter immer
fremder wird, bis er eines tages
erschreckt feststellen wird
dass das spiegelbild ein eigenes leben führt
sich also von der wirklichkeit vor dem spiegel
von meiner identität getrennt hat
von nun an
führe ich lange gespräche mit dem fremden
hinter der spiegelwand

der dicke junge dachte:
kommt die außenwelt nicht zu mir, komme
ich zur außenwelt

die ewige frage: warum ich?
da redet der mensch über seinen nahenden tod
und wie er am besten mit dem leben umgeht
das ihm bleibt
ich beobachte schon lange, wie die anderen
zur letzten ruhe gebettet werden
zum teufel damit!
dass manche vorgeben, sich an diesen
gedanken gewöhnt zu haben
c`est la vie
sie starben auf der straße
in gletscherspalten, in kriegen
in krankenhäusern, altenheimen
zuhause oder auf safari
ich weiß, das klingt nach einem spiel, das
„durchhalten“ heißt
die lebensspanne – ein steinwurf
hoffentlich pralle ich nicht schon vorher an
ein hindernis und
falle ab
etwa wie eine reife pflaume
vom baume
noch kann ich die anderen sterben sehen
gestern sprachen sie über training, strategien
selbstbeherrschung in sachen lebensführung
heute
rede ich vom tod
der jeden irgendwann von der straße holt
wie ein kinderfänger im vorbeigehen
mich am kragen packen wird
und einsackt
oder der tod ruft mich schon lange vorher
eine mutter, die ihren verlorenen sohn
heimsucht
und ihre knöchernen arme umschließen mich
unendlich sanft, während ich
noch lebe
„hallo sohn“, sagt sie
und ich fühle mich wieder
so winzig wie ehemals, als ich
meiner mutter im leibe saß
ein steinwurf – in die höhe geschleudert
der tod ist die schwerkraft, die das leben zurück
zur erde lenkt
(heute lebe ich, noch mag ich mir die frage stellen
warum ich?)

was soll ich euch sagen, was nicht schon
gesagt wurde?
gehörte ich zu den alten philosophen, wären meine
sprüche wenigstens über jeden zweifel erhaben
und der barkeeper grinste und sagte:
„und kitzelt mich keiner, kitzel ich mich selbst“
„noch ein bier“, sagte ich
und das ist auch nichts neues
was soll ich euch sagen, was nicht schon
gesagt wurde?
auch das wetter kennt ihr schon
und im fernsehen saht ihr den flug zum mond
und vergesst nicht um 8uhr die tagesschau plus
wetterbericht
der barkeeper sprach so leise, dass ich ihn nicht
verstand
er zuckte mit der schulter und bewegte sich hinter
der bar so bedächtig und langsam wie ein
chinesischer schattenboxer
„danke“, sagte ich, als er mir das neue bier
auf den deckel rückte
derweil wäscht mir meine mutter die wäsche
und ich bedanke mich, und das ist nichts
neues
was soll ich euch sagen, was nicht schon
gesagt wurde?
später am tag kehrte ich in der bahnhofskneipe
ein, bei ilse
ein bediensteter der deutschen bahn saß neben
mir und beobachtete eine gruppe von trinkern
an einem der tische, und er sagte zu ilse:
„die faulen von innen heraus“
daraufhin mischte ich mich ein – leider weiß ich
nicht mehr viel von diesem gespräch
irgendwann erzählte ich ilse, dass ich „zorro“
im kino gesehen hatte
mir war klar, dass ich nun gehen musste, um
den bus zu kriegen, der nur stündlich fuhr
was soll ich euch sagen, was nicht
schon gesagt wurde?
ich trage den wäschekorb vom
kofferraum des autos meiner mutter
in meine bude und höre, wie sie wegfährt
„das war höchste zeit“, denke ich und greife
mir ein bier aus dem kühlschrank
was soll ich euch sagen?
wer wäscht eigentlich zorros kostüm?

während ich tausend tage im selben trott
lebe, kommt ein tag
ein tag
eine schleierhafte erkenntnis
wie das langsame legen von nebel
wie der reif über jeglichem an
einem wintermorgen
ein tag
ein tag, an dem es den anschein hat
du würdest noch einmal geboren
wie ein zufälliges geschenk des lebens
wie wenn eine gar zu alte haut von
dir abfällt
ein tag
ein tag, und ich gehe weitere tausend tage
im selben trott
ich fühle mich lebendig gefangen, sehe
keine zukunft
wie wenn ich alleine auf einen see heraus-
schwimme
wie – nichts als spiegelglattes wasser
wie ein endloser tag ohne nacht
ein tag
ein tag, ich singe ihn herbei
ich träume vom ersten schnee, der fällt
und entdecke meine fußabdrücke
(ich glaube an die oasen in der zeitwüste
kaum erinnere ich mich an die letzte)

...

"der gerontogiurg"


ich sah ihn zum erstenmal in der gruppe von neuen, die ins altenheim einziehen sollten. er hatte einen runden, dicken bauch. der hellblaue, schmuddelige pulli rutschte ihm hoch und zeigte den monströsen, haarigen wanst. darunter standen die kurzen beine und die großen, nackten füße, die in ausgelatschten sandalen steckten.
der gerontogiurg, so nenne ich ihn, lief nicht oder schlurfte einfach vor sich hin, nein, er fiel zwischendurch um, rollte wie ein mops, tat unerwartet einen satz in die höhe, um nach diesen kapriolen in seinem geschlurfe fortzufahren, wobei er auch einige schritte zurückstolperte und seine schlappen verlor. seine runde gestalt kullert förmlich durch die gegend, unwillkürlich wie eine flipperkugel. als ich ihm einmal auf die beine helfen wollte, stieß er mich weg, und ich spürte die große kraft dieser obskuren kreatur. stumm vollzog der gerontogiurg seine bizarre vorstellung wie ein trauriger clown in einer unsichtbaren manege. sein kopf saß wie eine melone auf dem rumpf. augen, nase und mund erschienen auf den ersten blick wie aufgezeichnet und ohne rechten ausdruck. doch der gerontogiurg vermochte unglaubliche fratzen zu ziehen. er pumpte sein gesicht auf, bis die haut pergamentdünn und durchscheinend war. darunter erkannte
ich mit einem gruseln die knöcherne form seines schädels, als läge dieser in einer qualligen, farblosen riesenblase. diesen so entstandenen ballon nutzte er auf geheimnisvolle weise wie eine bildröhre. alle möglichen fremden gesichter spiegelten sich plötzlich auf diesem kugeligen bildschirm.
intuitiv klatschte ich beifall, und auch die umstehenden klatschten total verblüfft in die hände. auch unsere eigenen, mal von erschrecken, mal von erstaunen, gezeichneten visagen wurden vorgeführt. wir waren allesamt fassungslos. welchem unglaublichen schauspiel wohnten wir hier bei?
der gerontogiurg brach seine stumme vorstellung so schnell ab, wie er sie begonnen hatte. sein kopf schrumpfte auf die normalmaße, und seine knopfaugen funkelten mich lustig an. spontan schloß er mich in seine arme, dass ich angst hatte, zerquetscht zu werden. wir liefen ein stück weges arm in arm, und ich war stolz auf meinen kuriosen, neuen kameraden. aber der ließ sich auch von mir nicht zähmen. bald schon stieß er mich von sich, um sich wieder wie wild zu gebärden in einem nicht endenwollendem veitstanz. in pausen besuchte er mich und hieb mir auf die schulter, dass ich einknickte. und er lachte, das heißt, ich bildete mir das ein, weil zu hören war nichts. sicherlich lachte er in dröhnendem baß wie ein kindlicher riese. der gerontogiurg, wie ich ihn nenne, mochte mich. er sagte mir das stumm oder auch nicht stumm, denn das ist eigentlich nicht zu verstehen.

...


der docht der kerze sieht aus
wie eine geflügelte schlange, die
verglüht

es ist das ewig gleiche spiel
die männer wollen befriedigung, die frauen
wollen liebe
und umgekehrt

alles, was ich loslasse, steht zu mir

weisheit ist wie eine blüte, die sich
erst beim längeren hinschauen öffnet

ich sitze einfach in der zeit
ich überlege mir dinge, die ich
tun könnte
und bleibe doch
sitzen
viele lieder lang
ich sehe eine uhr, wie sie
läuft und denke, dass ich
auch eine uhr bin
ich sehe in den spiegel
und die zeit, wie sie qualvoll
langsam verstreicht
der raum ist nicht länger wichtig
wie ehemals
vielmehr das gehen und ankommen
ich bleibe im raum
und gehe in mich
viele lieder lang
die nähe von menschen halte
ich nicht lange aus
wie tausend uhren, die ver-
schieden ticken
es kommt vor, dass ich
mich verliebe, und mein herz
schlägt höher
und
bleibe doch
sitzen
mit wehmut und entzündeten
augen
ich betrinke mich und gleite in
den nebel von zeit und raum
wie in eine schneelandschaft, wo
erde und himmel surreal ver-
schmelzen

...

mich faszinieren taschen, obwohl ich nichts reinzustecken habe

wir leben in etwas
in einer placenta
eine tasche, die uns vollständig
einschließt
mit dem bewußtsein, das
nach dem reißverschluß
sucht

...

heavy advental

der stoff ist aus
das leben geht weiter
der vierte hirte
der fünfte sucht
unterkünfte
dem 1.april passiert
der overkill
am sechsten liebe deines
nächsten frau
der stoff ist aus
das leben geht weiter
dezember reimt sich auf
november
und januar ist
wunderbar
im märz gibt`s
schmerz
august macht lust
auf brust
der stoff ist aus
das leben geht weiter
bei 5 grad plus kriegst du
`nen kuß vom linienbus
advent, advent
ein lichtlein brennt
der stoff ist aus
(hey mann, ist das etwa mein problem?)

...

jeder ist seines glückes schmied
trifft zu
nicht um reich zu werden
mach`s dir in dir behaglich
sei dein eigener freund
verzeih dir
manche schlechte tat
gefall dir, wie du bist
und ändere die einrichtung, wenn
das leben dich drängt
oder aus einer laune
weil dir deine
freiheit das liebste ist

...

der attraktor, welcher für dein
momentanes leben verantwortlich ist
wechselspiel zwischen schwer- und
fliehkraft
mit eingebautem rundenzähler
36 jahre, 36 runden
wie auch immer
abgehakt
`n haufen treibstoff verfahren
von der milch zum alkohol
der attraktor umklammert mich wie
dichtes efeugewächs
ich weiß nicht, wann es anfing
ich weiß, es ufert in endlosem
geschwätz
der attraktor des menschlichen intellekts
sozusagen
das ganze universum soll sich meiner
sprache fügen
unsere erfindungen, unsere erkenntnisse
bleiben narreteien
ich lebe im alptraum meiner (fuckin`)
selbsterfahrung
ich weiß nicht, wann es anfing
meine elektronik geriet durcheinander
mein hirn tilt, mein herz schlägt
weiter
bis mich eine (fuckin`) unsinnigkeit
aus der bahn wirft
hinüber
in einen anderen alptraum

...

es gab zeiten
da legte ich abends die kleider ab, die ich
morgens für den tag angezogen hatte, um sie
auch am nächsten morgen wieder anzuziehen
und das eine ganze woche lang

...

staub und spinnenhuddeln überall
wenn ich näher hingucke
das dunkle bier mit dem schnappverschluß
lächelt melancholisch
„trink brüderlein, trink“
als der hifi-lautsprecher verstummt, herrscht
eine höllische stille
der sessel, der teppich, das bett, das
regal, die linke und die rechte wand
sie haben alle nichts zu sagen
das fenster gurrt leise:
„komm raus, brüderlein, komm raus“
die bilder hängen traurig von den wänden
aus einem vergangenen leben
staubig und spinnhuddelig in den ecken
und zwischenräumen
überall stapelt sich grimskram, der bezeu-
gen soll, dass der bewohner lebt
die dinge wissen nicht, warum
sie da stehen, und sie schlafen
filigran zugedeckt von staub
und spinnenhuddeln
„das ist die natur, brüderlein, ein warten
auf zeit“
meine worte überraschen mich, so dass ich
sie nicht mir zuschreibe
mein blick bohrt sich in den raum, als ob
es hinter den dingen noch etwas zu sehen gäbe
aber mein blick bohrt vergebens
bis zum stumpfsinn
das dunkle bier hat seine haltung nicht
verändert
„trink, brüderlein, trink“
wer mag noch widersprechen, dass das leben
ein traum ist?
ich sehe mich reglos auf dem teppich liegen
der körper ist mein körper, und wenn ich
näher hinschaue, sehe ich staub
und spinnenhuddeln, die in der nase
kitzeln, und die offenen augen sind damit
verhangen
und die haare grau

...

nach der lektüre von o henry in der alten schmiede
nach einer menge bier und einer menge blasenent-
leerungen, nach dem kinohit „staatsfeind nr.1“, pizza
und heringsbrötchen vom weihnachtsmarkt
nach herrn abels weisheiten verschlug es mich zum
bahnhof, weil der so schön auf dem weg lag
peter war eingeschnappt, weil ich mich nicht zu ihm
setzte, und ilse fragte, warum ich so ruhig sei
na ja, es dauerte nicht lange, da machte mich der gast
mit der roten zipfelmütze auf mein loch im mantel auf-
merksam und erzählte, dass er in autos vernarrt sei
es dauerte nicht lange, da mischte sich der schwarze am
spielautomaten ein und bald darauf auch der bärtige
wir laberten ein zeug zusammen, lauter gemeinplätze
von bauern, weihnachten, spiritualität und nervenbahnen
die rote zipfelmütze ging zuerst, dann der bärtige, und
der schwarze erzählte, dass er äthiopier und zahntech-
niker sei, auf meine handfläche malte er mit einem kuli
felder für entsprechende organe ein, und er zeigte mir
auch die stelle gegen zahnschmerzen
bevor er ging, schenkte er mir eine flasche weißwein und
sein feuerzeug
ich spürte, wie mir langweilig wurde, und ich schenkte die
weinflasche weiter an angelika, die denselben bus nahm
und von der anmache bei der arbeit erzählte, und dass sie
wüsste, was sie an ihrem mann habe

...

kleine und große dinge
in koexistenz
kleinste und größte dinge gehen
auseinander hervor

...

der weise stellt die frage
„wo ist der gipfel des berges?“
„ich sehe den gipfel“, deute ich mit aus-
gestrecktem arm
sehe ich ihn?
„wo wohnt der geist des menschen?“
fragt der weise
„im kopf“, antworte ich und tippe mit
dem finger an
meinen kopf

...

wenn ich wirke
vermag ich nur – jetzt
auf mich zu wirken
wie das herabstürzende wasser einer zikade
sich nicht in seine tropfen aufpfriemeln lässt
wie das auf uns herabblickende
gleißen der sterne
und – jetzt
ist immerdar
am schluß oder zu guterletzt
kehre ich zurück zur einfachheit

...

sun of poetry


poesie bewegt sich um einen schwerpunkt
nicht immer gleichförmig
manchmal der prosa nicht un-
ähnlich
vom lebensfluß förmlich angesogen
ergießen sich die worte in die zukunft
ich glaube, dass den rahmen der schönsten
und harmonischsten poesie
prosa bildet
in einem großen kunstwerk werde ich
allerdings dieses wunderbare geflecht nicht
auflösen können

und die sprache erscheint wie ein wolkenbruch über dem meer

...







("tal der zukunft" oktober – dezember 1998, überarbeitet am 11.07.2001)




prosaGEDICHTE

... die Nacht ist gut für die Tinte, der Tag druckt die Seiten ...

Aktuelle Beiträge

Inhaltsverzeichnis: Texte...
bonanzaMARGOT - 21.09.2019 13:20
Mein Leben ist viele...
bonanzaMARGOT - 21.09.2019 13:17
Pech gehabt
bonanzaMARGOT - 21.06.2019 16:16
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bonanzaMARGOT - 12.05.2019 07:54
Am Küchenfenster
bonanzaMARGOT - 03.03.2019 13:33
danke für deine antwort,...
danke für deine antwort, karen!
bonanzaMARGOT - 2019-03-02 14:00
Ein paar sehr gelungene...
Ein paar sehr gelungene Gedanken zu Papier gebracht! Gruß KarenS
Luna48 - 2019-03-01 12:55
Der Tag wird kommen
bonanzaMARGOT - 01.03.2019 09:55
danke.
danke.
bonanzaMARGOT - 2019-01-04 05:04
Mir gehts ähnlich, ich...
Mir gehts ähnlich, ich mag dies Gedicht. Ich "lausche"...
rosenherz - 2019-01-03 20:52

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