Wo stehe ich?




Das Dasein ist eine nicht verenden wollende Quelle von Zeitzuständen, welche in vorgeschriebenem Verhältnis zum Subjekt erscheinen. Das "Ich" erlebt seine ganz private Welt, was es dazu verführt, die erschaubare Welt als Modell für eine absolute zu nehmen. Jedes Lebewesen betrachtet die Welt mit einer ihm ganz eigenen Unschärfe; dabei ist es derart eingebunden in seine Lebenserfahrung von Geburt, Heranwachsen, Familie, Beruf und Freizeit, Kultur und Religion, dass ihn die Tatsächlichkeit der vorhandenen Welt kaum erstaunt - abgelenkt vom Spuk des Lichtes und von dem abgrundtiefen Brunnen seiner Seele, aus welchem jeden Moment Bilder und Gefühle empor fluten, um hinter der hohen Stirn zu zanken, hin und her zu hüpfen wie elastische Bällchen, so dass sie sich den haschenden Griffen des Verstandes immer wieder entziehen.
Ich schildere das Bewusstsein des Menschen, das haltlos im Leben steht, versklavt und eingekerkert von den Wandungen der Materie in Raum und Zeit. Ganz und gar sinnlos ist das "Ich" in einer Welt ohne Maßstäbe und Richtungen, ohne Moral und Ethik. Aber das ist sie ja nicht, diese unsere Welt. Nun könnte ich mich damit begnügen, mein Leben in der Menschengesellschaft einzurichten, wie es sich nach den gängigen Maßstäben gehört, und wie es auf den ersten Blick unvermeidbar erscheint: Das Dasein annehmen und mit den gegebenen, mannigfachen Tatbeständen ausfüllen ... Aber etwas in meinem Bewusstsein stört den reibungslosen Ablauf meiner Identität in der Gesellschaft und dem resultierenden Alltagsgewebe. Während die Konsummaschinerie Tag für Tag vor meiner Haustüre wütet und lärmt, erstaunt mich sehr wohl das Vorhandensein einer Welt, dieser Welt, wie wir sie selbstverständlich als die unsere ansehen. Jedes Hinterfragen der Wirklichkeit beschwört eine heimliche, substantielle Angst herauf; und ich spüre, wie sie auf meiner Brust lastet, wie sie mir alles im Leben erschwert. An guten Tagen bade ich in süßer Melancholie, die mich schmunzeln macht in dem Wissen um die Gleichheit aller Kreaturen: Sie sind alle Sklaven ihrer Einbildung und vor allem bedauernswert.
Könnte ich verstehen, was die Welt zusammenhält! Könnte ich verstehen, wo ich stehe ...

Kein Kleinstes kann es geben, keinen kleinsten Zeitmoment, keine Zeitlosigkeit; dabei ist das Etwas unvermeidbar: Wir erfahren es ständig in den Berührungen. Was wir Materie nennen, der Boden unter unseren Füßen, der Klumpen Erde in unserer Hand, der Stein, gegen den wir stoßen, alles was uns nicht durchdringt und mit seinem Gewicht und seiner Kraft unseren Lebensraum bestimmt, bekommt im Mikro- wie im Makrokosmos einen völlig anderen Charakter: Was uns als fest erscheint, wird durchlässig; was wir als groß und bedeutend ansehen, wird klein und ohne Belang. Materie verliert sich im Raum. Die Welt der Dinge nennen wir materiell - unser eindimensionales Denken veranlasste uns, die Dinge zu zerlegen, um ihnen und der Welt auf den Grund zu kommen. Doch wir erliegen dem Irrtum, dass zerlegte Dinge ihre Dinghaftigkeit in unserem Verständniskontext behalten; wir übertrugen das Gefühl für die Dinge unserer Größe auf Bereiche, die am Rand unserer Dinghaftigkeit oder bereits darüber hinaus liegen. Um den Missverständnissen dieser "Unschärfe" nicht zu verfallen, stelle ich mir die Materie nicht getrennt von Raum und Zeit vor ... bildhaft als besondere Raumstruktur.
An diesem Punkt beginnen leider auch die Schwierigkeiten, diese Sichtweise, die nur der Anfang einer ganzen Gedankenkette sein kann, für die Realität der Menschenwelt zu nutzen - Konsequenzen für Kultur und Alltag daraus abzuleiten. Sollten vielleicht manche Erkenntnisse besser im Verborgenen schlummern, um nicht Unruhe und Unsicherheit zu stiften? Ist der menschliche Geist wirklich dafür geschaffen, in diese Dimensionen vorzustoßen? Ich kann mir die Bestimmung des menschlichen Geistes im Weltgefüge nicht erklären ... Es fällt mir nicht schwer, die Welt mit Mann und Maus zunichte zu relativieren - es fehlt mir die Festigkeit des Glaubens: Die Unergründlichkeit der Welt und des Daseins wiegt schwerer als alle vorgefertigten Modelle der Religionen und Wissenschaften. Im Grunde halte ich es für unmöglich, dass ich existiere, dass überhaupt etwas existiert. Was macht aber dann die Bedeutung des Ganzen aus?
Mit Gewissheit sitze ich vor der Schreibmaschine, in einer irgendwie vorgegebenen Endlichkeit meiner Existenz, fasziniert von der Kluft zwischen Theorie und Praxis-Wahrnehmung, zwischen gelebtem Sein und niederdrückender Haltlosigkeit.




(ca. 1999)

creature - 25.01.2009 12:55

tanzende atome die von einer unbekannten kraft zusammengehalten wird ergeben die sichtbare welt.
nach einiger zeit geben sie ihre form auf und bilden neue.
*die schöpferkraft formt damit gestalt, zerstört sie wieder, formt neues, ein ewiges spiel*.

bonanzaMARGOT - 25.01.2009 13:28

danke für deine gedanken dazu, creature.

ja, die atome, wir haben sie vermessen und können sie sogar per elektronenmikroskop "sichtbar" machen. aber wissen wir wirklich, was atome sind? können wir die atomare welt begreifen?
ich glaube, wir sind noch weit davon entfernt, den aufbau und den charakter von materie zu verstehen. wir schauen bisher nur auf die oberfläche. immerhin kommt selbst die forschung auf die "unschärfe" unserer wahrnehmung, bzw. auf die verknüpfung von wahrnehmenden subjekt und wahrgenommenen objekt. vielleicht verhält es sich so: wer wahrnimmt, wird wahrgenommen. oder: wir sehen, was wir sehen wollen.
also ich tue mich mit den spielregeln schwer. wir menschen denken viel zu dogmatisch.
creature - 25.01.2009 13:50

das denken selbst ist zu begrenzt um das geheimnis der lebens zu verstehen.

es gibt da diesen film, "Mission to Mars", wo am ende dieses ausserirdische wesen die hand öffnet und als anschauung die schöpfung des universums zeigt.
so etwa könnte erkenntnis funktionieren.
mir geht es manchmal so wenn ich z.b. in einem wald stehe und sich vor meinen augen mechanismen offenbaren für die ich keine worte finde sie jemandem zu erklären.

wir wissen meist wie etwas funktioniert,
aber nicht wieso und welchen sinn es hat!
bonanzaMARGOT - 25.01.2009 14:42

ja, das sehe ich genauso.
der sprachliche begriffshorizont ist zu eng. wir müssen die seele/den sinn erspüren, ohne uns aber dann z.b. durch religiöse eiferer aufs glatteis führen zu lassen. es ist die kunst, verstand und kreativität/intuition derart geschickt zu verknüpfen, dass wir eine verständliche botschaft mit erkenntniswert zuwege bringen.

wenn ich mir sage, dass ich teil der welt bin, wenn ich es manchen kurzen moment schaffe, im gleichklang mit der musik des universums zu klingen, zu schwingen - dann erfahre ich erleuchtung.
sobald der denkapparat sich einschaltet, entferne ich mich aber von der authentizität dieser erfahrung. ich würde es als ein sich sinken lassen und wieder-auftauchen verstehen.
bonanzaMARGOT - 25.01.2009 14:45

was das funktionieren angeht: wir beschreiben abläufe und beobachtungen, wissen aber durchaus nicht, wie z.b. gravitation wirklich "funktioniert".

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