Das Geheimnis des doppelten linken Halbschuhs
Ich entdeckte die Unstimmigkeit am Morgen,
als ich wie gewohnt zum Bäcker gehen wollte.
Mein linker Schuh sah fremd aus. Ich war
verdutzt und untersuchte ihn.
Seine Sohle war etwas heller getönt.
Und sie war kaum abgelaufen.
Ich laufe sie nach außen ab. Ziemlich
gleichmäßig.
Ich betrachtete das Paar Schuhe, und
ich musste feststellen, obwohl ich mich
innerlich dagegen sträubte, daß der linke
nicht mein Schuh war. Es war dasselbe
Modell und dieselbe Größe. Kein Zweifel.
Doch der Schuh war falsch.
Wenn dieser linke Schuh nicht der Dazugehörige
war – wo war der richtige? Das fragte ich mich.
Und wo kam dieser Schuh her?
Ich war äußerst verwirrt. Genauso gut hätte
ich mit einer Nase aufwachen können, die nicht
meine ist. Dabei wusste ich genau, welche Nase
ich gewohnt war, beim Blick in den Spiegel zu
entdecken.
Mein Leben war aus dem Gleis geraten.
Die Ordnung aus den Fugen.
Mit diesem in meinen Augen ungleichen Paar
Schuhe konnte ich unmöglich das Haus verlassen.
Obwohl, da bin ich sicher, dieser Umstand
einem uneingeweihten Betrachter kaum
auffiele.
Der linke Schuh war über Nacht nicht mehr
mein Schuh. Wo war mein Schuh?
Wie war es möglich, daß ein anderer einfach
seinen Platz einnehmen konnte?
Völlig unakzeptabel das Ganze!
Ich nahm den falschen Schuh, wendete ihn
in den Händen, beschnupperte ihn und sah
und fühlte und roch nur Fremdheit.
Das Leben hatte mir einen höllischen Streich
gespielt. Ich kam nicht umhin, die Schuhe
anzuziehen. Und mit diesem Unglück an den
Füßen stürzte ich schließlich aus dem Haus.
03.08.2004 12:28 von bonanza
bonanzaMARGOT - 21.12.2006 01:52
Mel
es gibt eine neurologische erkrankung, bei der man seine
eigenen angehörigen nicht mehr als solche erkennt.
man unterstellt ihnen, sie wären zb. außerirdische.
das ist wahnsinn - man ist sozusagen seelenblind.
du erkennst nicht mehr die seele hinter dem eigentlich
vertrauten objekt, und deswegen ist es dir fremd, obwohl es
aussieht wie immer. der betroffene sucht dann direkt nach
äußerlichen unstimmigkeiten, um seine theorie zu erhärten.
bon.