das rosa kaninchen
versuchen sie einmal
nicht an ein rosa kaninchen zu denken
wenn ich ihnen sage
denken sie bitte nicht an ein rosa kaninchen
sondern an ihre
schwiegermutter
sie kennen doch alle diese zwangshandlung
morgens aufstehen zu müssen, obwohl man nicht
will –
und dieser furchtbare waschzwang, der nach dieser
zeremonie stattfindet
jahr für jahr bewegen wir uns in diesen kreisläufen
auf sommer folgt herbst, und auf den winter
wieder frühling
dann die rosa kaninchen
die schwiegermutter, das morgentliche aufstehen
und die unabwendbare körperliche berührung
mit dem medium wasser
und seife
benutzen sie parfümierte oder unparfümierte seifen?
rosa oder hellblaue?
prüfen sie ihr serotonin als aufnahmehemmer
denn sie müssen das kunststück fertig bringen
den zwang zu leben
nicht länger als zwang zu empfinden
mehthode der wahl ist die kognitive- und
verhaltenstherapie
eventuell lassen sie sich einen hirnschrittmacher
einsetzen
chirurgisch wäre noch eine kleine hirnläsion
denkbar
ich liebe hirnnekrosen! fragen sie mich nicht
- warum
ich spüre diesen bewegungsdrang
ich möchte in meine umwelt eindringen
durch supermarktregale und autoschluchten
hinter den scheiben sehe ich euch alle sitzen, wir ihr
euch zwingt
ruhig zu bleiben
wie ihr auf eure verdauung achtet, in der nase bohrt
und eure feinmotorik überprüft
die kupplung, schaltung, gaspedal
da ist es wieder: das rosa kaninchen
die schwiegermutter
und eine grauenhafte ahnung
kurz begegnen sich unsere blicke
ich fahre mit dem fahrrad an ihnen vorbei
noch stehen sie am stauende
und sie denken völlig verwirrt, dass sie
bisher noch nie ein kaninchen auf einem
hellblauen fahrrad sahen
hinter ihnen hupt es schon
aber sie haben alle zwänge abgeschüttelt
sie sehen sich selbst im innenspiegel
starr
während das hupen langsam zu einem crescendo
anschwillt
kommen ihnen die ersten tränen
01.04.2003 11:56 von margot
bonanzaMARGOT - 23.12.2006 14:05