meine Freundin und ich
gehörten zu den Gästen in dem
feudalen Landgasthof
wir hatten eine persönliche Einladung
mit der Post erhalten
nach dem Einlaß teilten sich die
Wartenden in zwei Schlangen
die linke führte Richtung Küche
die rechte bewegte sich langsam
gen Speisesaal
ich durfte mich rechts einsortieren
während meine Freundin
zur linken Seite gebeten wurde
„Komische Sitten sind das hier“, sagte
meine Freundin.
„Ja, sehr ungewöhnlich, mein Schatz!“
und auch die Umstehenden fanden
das, wie man aus ihren Mienen ablesen
konnte, nur mit Mühe amüsant
solche Bankette steckten voller
Überraschungen
„Haha, womöglich lernst du den
Küchenchef kennen ...“, sagte ich
noch meiner Freundin zugewandt
bevor sie in ihrer Schlange von den
Nachrückenden verschluckt wurde

die Tische in dem Saal standen
in Reihen wie bei einer
Karnevalsveranstaltung
ich versuchte einen Platz nahe des Eingangs
zu ergattern, damit mich meine Freundin
leicht erblicken könnte, sobald sie von
ihrer Küchenführung zurückkäme
nach einigem Hin und Her kehrte bald
gespannte Ruhe ein in Erwartung
des folgenden Geschehens
„Willkommen!“ rief ein koboldhaftes
Männlein auf einer Bühne vor uns
es stand dort, wie aus dem
Boden gewachsen
„Willkommen auf unserem ersten Bankett
unter dem Motto „Arme essen Reiche“
vor Ihnen auf den Tischen finden sie
ausreichend Speisekarten!“
das Männlein klatschte dreimal in die Hände
und die Speisekarten lagen urplötzlich
vor uns
ein Raunen ging durch den Saal
klatsch! klatsch! klatsch!
und vor uns standen die Getränke
ohne dass wir sie bestellen mussten
ich erinnere mich noch an das Lachen, das
langsam in dem Saal anschwoll
an das Klirren der Gläser und an unser
Schmatzen beim Herunterschlingen
der Speisen
im bacchantischen Rausch kriegte ich
den Hals nicht voll
die Buchstaben auf der Karte verschwammen
vor meinen Augen
„Ölscheich in Aspik ... Korrupter Politiker
in Möllemannsauce ... Managerschnitzel ...
Tennisstarlende a la Boris Becker ...
Frikadellen aus frischen Neureichen ...
Popstar mit Käse überbacken etc. etc.“

kurz bevor ich von den aufgetragenen
Nahrungsmengen platzte, schlief ich
erschöpft ein
ich träumte von einer Sexorgie in der Küche
wohin meine Freundin verschwunden war
der Chefkoch besorgte es ihr nach
allen Regeln der Kunst

klatsch! klatsch! klatsch!

meine Freundin beugte sich besorgt
über mich
„Hast du schlecht geträumt, Schatz?“
verwirrt rieb ich mir die Augen
„Was?“
„Womöglich hast du das Essen gestern
nicht vertragen?“
„Diese Reichen sind schwer verdaulich ...“
„Du bist noch nicht ganz wach -
soll ich dich wach massieren?“
ich war noch wie betäubt
und ließ es geschehen





11.03.2004 12:44 von bonanza