Der leichte Tod
Der Therapeut meiner Mutter verstarb
urplötzlich
mein Vater fuhr mit der Bahn
nach Schleswig Holstein zur Beerdigung
seines Bruders
der Freund einer Arbeitskollegin wurde
von einer Lungenentzündung dahin-
gerafft
der Mann einer anderen
wird langsam vom Krebs aufgefressen
die Todesfälle häufen sich
in meiner unmittelbaren Umgebung
und ich fühle, dass die Lebenszeit
nicht zählt, wenn das Gefäß
brüchig ist
diesen Bundeskanzler durfte ich noch wählen
was kümmert mich die Riesterrente
wenn ich nächste Woche das Handtuch
werfe
was kümmern mich die Blumen auf meinem Grab?
ich bin dem Leben nicht böse
schließlich hat niemand ahnen können, dass
ausgerechnet ich geboren werde
ich auch nicht
aber nun ist es geschehen
und die Schlange vor der Kasse wird kürzer
und kürzer
ich stehe bereits vor den Zigaretten
nicht dass ich Panik bekäme
komisch, es lebt sich viel leichter, seitdem
ich dem Leben nichts mehr abringen möchte
ich war da
und damit bin ich durchaus zufrieden
der Naivling neigt zur Bilanzierung
seines Lebens
unter dem Strich immer eine Nullrechnung
im Leben gibt es nur rote Zahlen
alles wird abgebucht
bis das Konto unter deinem Namen gelöscht wird
du musst damit leben
und sterben
ich möchte unter einem Kastanienbaum
im Herbst
einschlafen
seine Wurzeln spüren
seine Stimmen hören
ich möchte von den Küssen träumen, die mir das
Leben schenkte
ich möchte Frieden schließen mit der Welt und
ihren Geschöpfen
ich möchte müde sein
ich möchte dir die Augenblicke schenken, die ich
noch habe
ich fühle mich wie ein Milchkaffee
in dem du sachte rührst
lach nicht
in meinen Armen bist du aufgehoben
wie eine Schwester
ich habe ihn vorbereitet:
den letzten Museumsgang durch mein Herz
du wirst die Bilder sehen, die du sehen willst
ich begleite dich ein Stück weit
bis ich dir sage, dass ich in der Cafeteria ein Bier
trinken werde
ich kann dich nicht
mitnehmen
ich brauche meine Ruhe
die letzte
15.11.2002
bonanzaMARGOT - 29.12.2011 15:20