gestern
ein depressiver Torwart nahm sich das Leben
die Trauergemeinde füllte gestern ein Fußballstadion
wichtige Leute wie der Ministerpräsident
hielten bemerkenswerte Reden
und bekundeten der Familie ihr Beileid
wir wissen nun, dass zwischen den Pfosten nur ein Mensch stand
und keine Maschine
wir wissen nun, dass wir alle nur Menschen sind
mit Stärken, Schwächen und Fehlern
wie Boris Becker und André Agassi
es gibt kaum einen VIP, der sich nicht zu dieser Angelegenheit
äußerte
ich zappte durch allerlei Fernsehdiskussionen im Zuge
des tragischen Todes des bekannten Torhüters
wir wissen nun, dass viele, sehr viele Menschen in unserem Land
ernsthaft depressiv sind
ein Torwart muss in seinem Kasten viel aushalten
wenn er nichts hält
bedeutet es das Aus
wir wissen nun, dass wir irgendwie alle
Torhüter sind, auf die ständig geschossen wird
und die sich mal nach links und nach rechts
in den Dreck werfen müssen
wir wissen nun, dass Fußball zwar die wichtigste Nebensache
der Welt ist
aber nicht mehr
vielleicht brachte sich der Torwart um, weil es eben diese Trennung
zwischen Spiel und Leben
nur in diesen bemerkenswerten Reden wichtiger Leute gibt
und zwar immer, nachdem das Kind bereits in
den Brunnen fiel
vielleicht war die Wahrheit für ihn einfach unerträglich
und ausweglos
viele gute Menschen gehen an der Wahrheit zugrunde
wir wissen nun, was wir schon immer wussten
aber selten aussprechen
wir wissen nun, dass man zwischen den Pfosten besser
den Kopf einzieht
...
und ich denke:
wäre ich dieser Torwart gewesen und hätte gestern
vom Himmel runter in das Stadion geguckt
ich hätte glatt noch mal
Selbstmord begangen
(17.11.09)
bonanzaMARGOT - 17.11.2009 16:55