Gelber Horizont




wenn ein Talent brach liegt
wie ein stolzes Wrack
von Möwen bevölkert mit gebrochenem
Mast
im flachen Gewässer, zärtlich umspült
kantige Felsen haben sich in seinen
Leib gegraben
und halten es
fest
vor dem Sog der Tiefe
das Steuer wippt willenlos
und eingeklemmte Tuchfetzen blähen sich
auf dem ächzenden Deck
die Takelage
die Takelage schnürt mir
die Kehle zu

wenn der Himmel grau ist von ungeweinten
Tränen
(würde ich meine Mutter für den Alkohol
verkaufen, sagt man mir)
die Ekstase ist gelb
neben der braunen Erde
rot ist die samtige Herrlichkeit
und blau steigt der Weihrauch
gen Himmel
Grün ist ein Unding und
von kurzer Dauer
der unreife Fruchtkörper, bevor er
vom Stamm fällt
die Zeit spielt uns einen Streich
und nicht einmal die weisesten
haben begriffen
die Farbe, die unser Leben bestimmt
ist Gelb und fordert
Blut
bis in alle Ewigkeit
bis in alle Ewigkeit
die Angst zehrt von den Dämonen, die
das Licht meiden
und die unter der Last der Lüge
noch meinen, sie wären im Besitz der Wahrheit

meine Verzweiflung ist wie ein stumpfes
Messer

(ein Durst die Seele auffrisst)
golden ist die Apfelweinschorle
golden ist das Bier
schaumgekrönt wie mein Leben
kein Wunder, dass die Klinge abgewetzt ist
die Druckerschwärze wirkt wie aufgespuckt
gallig
die Scharfsicht weggeätzt
darf ich dich in den Ausguck rufen?
was siehst du am Horizont?
Gelbsucht, Leberzirrhose, Irrsinn
eine Idee?




(1993)

Nante - 03.10.2008 22:49

ein starker Text ....

die Vermischung - scheinbar ganz zufällig - von einfachen Vergleichen (Talent liegt brach WIE ein stolzes Wrack) ,eindringlichen Bildern (von Möwen bevölkert mit gebrochenem
Mast
im flachen Gewässer, zärtlich umspült) und reflektierenden Passagen des lyrischen Ichs (die Takelage schnürt mir
die Kehle zu)
sind - mMn - das Kenzeichen dieses Textes ..


die Aussagekraft steigert sich fast zu einem selbstzerstörerischen Furioso
(die Angst zehrt von den Dämonen, die
das Licht meiden
und die unter der Last der Lüge
noch meinen, sie wären im Besitz der Wahrheit)

Und auch die Trauer kann ich nachempfinden, Bon -

(darf ich dich in den Ausguck rufen?
was siehst du am Horizont?
Gelbsucht, Leberzirrhose, Irrsinn
eine Idee?)

mir gefällt der Text - vielleicht, weil ich im Augenblick ebenfalls in einer dunkelgrauen Stimmung bin ....

Wer ist das Du, welches in den Ausguck gerufen wird ??? Immer der/ die Liebste - die den gelben Horizont NICHT sieht ... gelb: Gewitter - Angst - Bedrohung ?????

Könnte es sein, dass dieser Text sehr wohl ein Hilferuf ist ? Ich läse ihn so, wäre ich die Gerufene .....

bonanzaMARGOT - 04.10.2008 12:03

hi nante,

tolle textanalyse.

ich schrieb diesen text 1993, als ich mich in meinem leben in einer schwierigen lage befand.

der text selbst ist kein hilferuf, er kann aber als solcher verstanden werden. ich schrieb mir meine gefühle und gedanken von der seele.
er ist teil einer ganzen serie von texten, die sich alle um alkohol, sucht, liebe, selbstliebe und verzweiflung drehen.

gruß
bon.
Nante - 04.10.2008 12:26

ooch, bon

"sucht, liebe, selbstliebe und verzweiflung"

handeln nicht alle unsere Texte mit/von diesen Lebensthemen ???

irgendwie kann ich Freude - Lebenslust usw - viel weniger "rüberbringen" ... zu mir und - wie ich vermute - zu anderen ....

bonanzaMARGOT - 04.10.2008 19:42

sehr

sehr viel literatur handelt darum, aber nicht alle literatur ist gleich geschrieben. so unterschiedlich wie die menschen, so verschieden sind auch die perspektiven auf diese themen. viele autoren und autorinnen handeln es ziemlich seicht ab. ich scheue mich dagegen nicht, ans eingemachte zu gehen.

na ja, für mich ist es klar, warum diese eher "negativen" themen eine so große anziehungskraft besitzen - schließlich ist das leben endlich, und der verfickte tod reibt sich bereits genüßlich die hände ... vor jedermanns tür.
da kann man nun vor fliehen, oder man konfrontiert sich damit.
es ist nicht schwer zu erraten, wie ich es halte.
wäre ich noch nicht geboren und würde also nicht auf den tod sondern auf das leben warten, würde ich die sogenannten "positiven" themen bevorzugen.

mal schaun. wenn der tod nur eine art geburt ist, hat er mich wirklich ganz schön gefickt während meines lebens.

gruß
bon.

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