brasko und der 6. finger




„ich bin der pianist leonhardt mc nimroy. als ich heute morgen aufwachte, hatte ich an jeder hand 6 finger.“ die stimme am anderen ende der leitung verstummte, um dann aufgeregter fortzufahren: „mr. brasko, 6 finger, verstehen sie, 6 finger!“
„ja, ich verstehe.“
„ich kann unmöglich mit 12 fingern spielen! das kommt einer katastrophe gleich! nächste woche beginnt meine konzerttournee.“
„haben sie sich vielleicht verwählt, mr. nimroy? ich bin privatschnüffler und kein psychiater.“
in der gesprächspause, die entstand, öffnete ich mir eine dose bier und genehmigte mir einen langen zug.
„mr. brasko, ich rufe sie an, weil ich einen bestimmten verdacht hege. meine gattin. katherine. sie ist krankhaft eifersüchtig auf meinen erfolg und ...“
intuitiv hakte ich ein: „und auf ihre weiblichen fans, die sie nicht von der bettkante stoßen.“
„mr. brasko“, mc nimroy hüstelte geziert, „meine tourneen dauern mitunter ein halbes jahr. sie verstehen?“
„ich verstehe.“
„also, meine frau beschäftigt sich seit kurzem mit diesem voodoozauber. unsere neue haushälterin scheint sie damit irgendwie infiziert zu haben. und jetzt ...“
„und jetzt denken sie, dass ihre frau ihnen diesen 6. finger an ihre hände zauberte“, beendete ich gelangweilt den gedankengank des konzertpianisten.
„wissen sie was?“ sagte ich, „lassen sie sich ihre überflüssigen finger amputieren und legen sie eine konzertpause ein. oder lernen sie mit 12 fingern klavier spielen. dann wären sie was ganz besonderes.“
„mr brasko, ich will, dass sie am wochenende in meinem haus übernachten und die dunklen machenschaften meiner frau näher untersuchen. ich trage mich immer noch mit der hoffnung, dass dieser alptraum ebenso schnell vergehen könnte, wie er heute quasi über nacht kam.“
„und warum soll ich das wollen?“
„weil morgen früh ein scheck in ihrem briefkasten liegt, mr. brasko.“

dagegen war freilich nichts einzuwenden. außerdem hatte ich wie immer am wochenende nichts vor. im kino lief nur dreck. und mein zimmer verwandelte sich langsam in eine edgar allen poesche folterzelle. die wände rückten immer näher zusammen und irgendein pendel pendelte von der der decke und versuchte mein mickriges dasein nochmal zu halbieren. ich willigte also ein.


ich wurde bei mc nimroy als alter musikerkollege eingeführt, der auf durchreise eine übernachtungsmöglichkeit suchte.
mc nimroy stellte mich seiner frau vor: „schatz, das ist mr brasko, mit dem ich damals studierte.“ und zu mir gewandt: „meine frau, katherine hepburn.“ ich runzelte die stirn.
„mr. brasko, ich behielt meinen mädchennamen“, katherine reichte mir ihre zarte, fast durchsichtige hand und fuhr im selben atemzug fort: „sie sind musiker – was spielen sie denn?“
„flöte“, antwortete ich hastig und lief rot an.
„dann flöten sie uns sicher mal was vor“, sie lächelte sanft und geheimnisvoll.
„möglicherweise“, antwortete ich mit roten ohren und folgte dem hausherren in die gemächer.

katherine hepburn sah aus wie katherine hepburn und mc nimroy erinnerte mich an spock aus dieser raumschiffserie. seine ohren waren nur nicht ganz so spitz, und seine gesichtszüge wirkten insgesamt weicher. lisa, so hieß die haushälterin, war kaffeebraun, und ich dachte bei ihren ausmaßen sogleich an diese archaischen venusfiguren. alles in dem haus ließ auf eine laszive geldader schließen und auf einen geschmack, der sich gewissenlos dieses reichtums bediente. auf sehr angenehme weise, wie ich laienhaft konstatierte. die füllige lisa ließ mich nicht aus den augen, wahrscheinlich aus pflichtgefühl oder sie war von der hausherrin angewiesen worden, mir auf die finger zu schauen.

am abend traf ich mich mit mc nimroy im salon. nach dem austausch der üblichen höflichkeiten und den wetternachrichten, ergriff mc nimroy die initiative, indem er mir seine künstlerhände entgegenstreckte.
„sehen sie!“
„ja, sehen ganz normal aus.“
„dann zählen sie mal.“
„tatsächlich“, sagte ich verblüfft, „sind sie sicher, dass sie nicht schon immer 12 finger hatten?“
„mr. brasko, ich beliebe nicht zu scherzen. es geht um meine existenz!“
„okay, okay, dann schenken sie mir mal nach“, und ich hob ihm mein leeres martiniglas entgegen. „sie sind sicher, dass ihre frau und diese lisa dahinterstecken? mit diesem voodoo? oder sonst einem zauber?“ der martini gluckerte in meinen kelch.
„seit diese lisa bei uns den haushalt besorgt, verändert sich katherine mehr und mehr. ich wollte das erst nicht so ernst nehmen. aber jetzt. sie sehen ja selbst!“ mc nimroy legte seinen kopf in seine 6-fingrigen hände und markierte den verzweifelten, der nicht ein noch aus wusste. ich zuckte mit den schultern, begab mich auf mein zimmer und machte weiter mit johnny walker.
hier war scheinbar nichts mehr zu machen, als die nacht im fremden bett gut rumzukriegen. der scheck würde mich dafür ausreichend entlohnen.

irgendwann in der nacht wachte ich auf. die nachttischlampe brannte noch. den johnny hatte ich nur halb geschafft. ich wälzte mich auf die andere seite, als ich ein stöhnen vernahm. das stöhnen musste von nebenan kommen. wer machte es da mit wem, war mein gedanke und ich war mitsamt meiner neugierde geweckt. ich schlüpfte in meine jeans und schlich baren oberkörpers auf den flur. die halbvolle flasche johnny hielt ich in der linken. vorsichtig senkte ich die türklinke des nachbarzimmers. das stöhnen schwoll an.
„herein, herein“, flüsterte die stimme katherines magisch.
„kommen sie näher, mr. brasko, wir haben sie erwartet.“
was ich sah, verschlug mir den atem, und ich setzte wie aus einem reflex die flasche an.
„prost“, sagte die stimme in dem zimmer und bekam einen unwirklichen hall. vor meinen augen verschwamm die szenerie: ein schwarzes, massiges etwas lag auf einem himmelbett, und wie ein rinnsal milch floß katherine hepburn durch diese landschaft, durch schluchten und ritzen, weitete sich an tälern und vergoß sich in ebenen ... katherine winkte mir, während ich wie in trance das schauspiel weiterverfolgte: eine weiße schlange leckte die dunklen hänge und bergrücken, umschlang den schokoriesen mit süßer hingabe ...
bevor ich ganz wegdämmerte roch ich ihr geschlecht. ich roch den johnny und irgendwas, das ich nicht definieren konnte. bis heute.


als ich am sonntag aufwachte, fühlte ich mich wie gerädert. die nachttischlampe brannte noch im tageslicht. es war bereits mittag. ich rieb mir den schlaf aus den augen, und unwillkürlich hielt ich mir die hände vor augen und zählte meine finger. alles noch in ordnung. ein blick unter die bettdecke beruhigte mich vollends. das waren wohl die nachwirkungen des whiskey. uff! dieser pianist soll sich seinen 6. finger in den hintern stecken, dachte ich, als ich mich frisch machte und anzog. durch die schleiergardinen fiel sonnenlicht in übergroßen portionen. das war neben meinen gliederschmerzen nicht das einzig unangenehme. selbst mehrfaches zähneputzen vertrieb nicht den merkwürdigen geschmack in meinen mund. pfui teufel! ich spuckte immer wieder ins waschbecken.


„mr. brasko, lisa wird sie zum bahnhof fahren“, sagte katherine, die immer noch wie katherine hepburn aussah. und im hinausgehen hauchte sie mir ins ohr: „ihr flötenspiel berührte mich wirklich tief ...“
mc nimroy schien wegen seiner 12 finger beim abschied gar nicht mehr unangenehm berührt. was mir in meinem zustand ganz recht kam, und ich beschloß, nicht noch mal nachzuzählen. stattdessen sagte ich benebelt:
„mr. nimroy, sie können sich glücklich schätzen, eine solch wunderbare frau zu haben.“
„ich weiß“, erwiderte er mit einem smarten lächeln.
und bevor ich die wagentür des roten porsche zuschlug, in dem lisa schon auf dem fahrersitz wartete, rief ich wie besoffen: „scheiß auf den 6. finger!“

lisa startete durch. sie beherrschte den sportwagen perfekt. mitten in der fahrt, ich glaube in einer rechtskurve, reichte sie mir ein schmales päckchen und raunte fast unverständlich: „von den herrschaften.“ in dem auto roch es nach schokolade, nach einem ganzen berg von schokolade, und ich war froh, als lisa mich an die frische luft setzte.
diese künstler haben doch alle einen knall, ich grinste an der theke vor mich hin angesichts des leicht verdienten zubrots. ich würde noch ein paar bierchen trinken, um wieder nüchtern zu werden. ich schaute zu dem taxistand auf dem bahnhofsvorplatz. dann war da noch das päckchen in meiner tasche. nach einem erneuten scheck sah das nicht aus.
ein finger! täuschend echt, eine attrappe, sogar gefühlsecht. und darunter lag ein zettel mit den worten: danke mr. brasko.
ich ließ das teil schnell wieder in meiner tasche verschwinden und knüllte die verpackung zusammen. die erinnerung an die letzte nacht ließ übelkeit in mir hochsteigen: katherine hepburn im nymphischen liebesspiel mit einer schwarzen, schokoladeduftenden venus, dahinter spock mit seinem vulkanischen grinsen im anschlag, künstliche finger flutschen unzählig als dildos durch körperöffnungen – spock setzt sich an den flügel und spielt virtuos händel oder bach oder chopin – kackegal - ich liege jetzt zwischen ihnen auf dem himmelbett, versinke in schwarzen fleischmassen, während eine weiße schlange meine flöte auspackt ...

... oder so ähnlich, musste es wohl letzte nacht abgegangen sein. ich überprüfte auf dem barhocker nochmals meine physische präsenz, indem ich mich dehnte und streckte. dann heftete sich mein blick auf den arsch der bedienung.


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