Morgens im Bus




Im Bus dachte ich: Was denken all die Menschen? Denen musste doch jetzt was im Kopf rumgehen. Und ihre Augen schauen. Sie wissen, was sie machen – aber was denken sie?
Es war früh am Morgen, und das Schweigen steckte allen noch in den Gliedern. Dann sind die Leute meist sehr friedlich.
Ein andermal dachte ich: Mein Gott, was für hässliche Menschen gibt es doch! Was würde ich an ihrer Stelle denken, fühlen? Ich glaube, ich würde mich umbringen, denn meine Eitelkeit ist bereits angekratzt, wenn ich während der Morgentoilette einen Pickel in meinem Alabastergesicht entdecke. Es war für mich sehr beruhigend, dass es hässliche gibt, die lebten – weiß der Teufel, wie sie das durchstehen! Gibt es für diese Menschen Spiegel? Mein Gott, sind die hässlich! dachte ich bald angewidert, mein Herz aber jubelte meiner jugendlichen Schönheit wegen.
Das ist nicht immer so. Oft empfinde ich Mitleid, ja, mitfühlende Sympathie mit diesen Karikaturen, die jeden Morgen mit mir den Bus besteigen, um ebenso wie ich ihr Tagewerk zu vollbringen. Ja, ich fühle mein Schicksal auf lebenstragische Weise mit dem ihren verknüpft, und alle Äußerlichkeit und gedanklicher Zwist verschwinden hinter der Verbundenheit, den Alltag wieder und wieder, mehr oder weniger gemeinsam überwinden zu müssen. – Kameraden an der Front des Lebens, die gegen ihre Spiegelbilder anrennen und nach und nach die Schlacht verlieren ... müssen.
Auch fühle ich mich mit diesen heruntergekommenen Gestalten
desto stärker verbunden, als dass mir ihre Kindlichkeit und einfache Weltanschauung mit mehr Weisheit und Aufrichtigkeit bekleckert erscheint als die eines sogenannten „Lackaffen“.
Meine Gefühle schwanken und mit ihnen meine Gedanken und meine Sympathie und mein Weltverständnis und sogar die Sterne am Himmel, unter denen wir uns drehen.

Würden Sie, mein namenloses Gegenüber, doch etwas entscheidend Klares von mir hören wollen und belehrten mich darum mit den weisen Worten: „Ich glaube, Sie widersprechen sich, mein Herr ...“ Das ganze Universum bräche über diesem Satz zusammen, wenn es nur könnte. Mein Gegenüber, ich liebe die Wahrheit mehr als alles auf der Welt; und um zurückzukommen auf diese widerlichen Gestalten im Bus: Ich fühle mich ihnen nicht wirklich zugetan – und doch: Sind Seife und Moral nicht abwaschbar?
So renne ich gegen mich selbst – und weiß es wohl.





(1985)

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